Patriarchen des Mittelstands
Alt und mächtig – Wie erfahrene Unternehmerpersönlichkeiten in der Wirtschaft den Ton angeben
Genialer Unternehmer und Vaterfigur? Oder selbstherrlicher Sturkopf, der nicht von der Macht lassen kann? Der Wirtschaftspatriarch ist entgegen allen Unkenrufen noch längst nicht ausgestorben. Auch in der mittelständisch geprägten Region im Nordwesten Deutschlands werden viele Familienbetriebe von starken Unternehmerpersönlichkeiten regiert, die das Rentenalter längst erreicht haben.
Harald Müller, Erwin-Müler-Gruppe.
Das Alter, heißt es, sei nur eine Zahl. Manchmal allerdings verraten andere Zahlen, dass es so einfach doch nicht ist. Harald Müller hat vor vielen Jahren damit begonnen, Mittagsschlaf zu halten. „Früher hat mir eine Viertelstunde gereicht. Heute brauche ich schon eine halbe.“ Als guter Controller müsste Müller sich dafür schelten: 100 Prozent mehr Zeitaufwand für bloße Erholung – wirtschaftlich ist das nicht. Der Seniorchef der Erwin-Müller-Gruppe aber schmunzelt nur, als er über sein gewachsenes Ruhebedürfnis in der Mittagszeit spricht. 72 Jahre ist er jetzt alt. Er hat sich noch keine Gedanken darüber gemacht, wann er sich ins Privatleben zurückziehen will. „Ruhestand . . .“ Wenn Müller das Wort ausspricht, klingt mehr Befremden durch, als wenn ein Grüner „Atomenergie“ sagt.
Seit 36 Jahren steht Harald Müller an der Spitze des Lingener Unternehmens, das den Namen seines Vaters trägt. Im Jahr 1945 gründete Erwin Müller einen Metallverarbeitungsbetrieb. Das Unternehmen erlebte ein enormes Wachstum und fächerte sich in zahlreiche Geschäftsbereiche auf. Im Jahr 1994 folgten Firmenniederlassungen in China und Tschechien. Für Harald Müller ein Meilenstein in seiner Laufbahn: „Damals war das ein großes finanzielles Wagnis, das sich zum Glück gelohnt hat.“
Heute beschäftigt die Gruppe 1220 Mitarbeiter und verzeichnete im Jahr 2012 einen Umsatz von 145 Millionen Euro. Zum Unternehmen gehören sechs Geschäftsbereiche, darunter Emco Bad, Emco Bau und der Büroausstatter Dahle. Europa-Marktführer ist die Erwin-Müller-Gruppe mit ihren Eingangsmatten für Gebäude mit viel Publikumsverkehr.
Seit seiner Gründung ist das Unternehmen in Familienhand – und daran soll sich auch nichts ändern. Harald Müller sagt, er habe nie die Absicht gehabt, den Betrieb zu verkaufen. Statt einen Investor zu suchen, machte er sich vor knapp fünf Jahren daran, einen Nachfolger als Geschäftsführer zu finden. Die ersten Kandidaten fielen alle durch. „Das wird wohl auch an mir gelegen haben“, sagt Müller. Den Mann mit dem nötigen Überblick fand Müller schließlich in Christian Gnaß, der im vergangenen Jahr zum Sprecher der Geschäftsleitung ernannt wurde. Damit ist er für das operative Tagesgeschäft des Unternehmens zuständig, aus dem sich Harald Müller 2012 zurückgezogen hat – offiziell. Tatsächlich, und daraus macht Müller gar keinen Hehl, steht er noch immer an der Spitze des Betriebes. Sein Büro und das seines Nachfolgers liegen direkt nebeneinander. „Und wir halten im Grunde minütlich Rücksprache.“ Auf die Frage, ob er im Hintergrund weiterhin mit die Strippen ziehe, antwortet Müller: „Wenn Sie das so formulieren, kann ich mich dagegen nicht wehren.“
Ihm sei immer klar gewesen, dass er die Verantwortung nicht von heute auf morgen abgeben könne. Aber nicht, weil er nicht loslassen könne, sagt Harald Müller. Das Unternehmen mit seinen vielen Geschäftsbereichen sei einfach sehr kompliziert. „Wenn jemand das ganz plötzlich übernehmen müsste, wären Fehler schon programmiert.“
Harald Müller sieht seine Hauptaufgabe im Controlling. „Wir haben zwar auch ein sehr gutes Controlling im Haus, aber ich sehe einfach sofort, wenn an den Zahlen irgendetwas nicht stimmt.“
Für den 72-Jährigen ist es keine Option, irgendwann in einen möglichen Beirat seines Unternehmens zu wechseln. Plötzlich die Entscheidungen derer zu kritisieren, die an der Position stehen, die man selbst jahrelang innegehabt hat, davon hält er nichts. Obwohl Harald Müller keinen Zweifel daran lässt, dass er sein Unternehmen geprägt hat und weiterhin an der Spitze des Betriebes darüber wacht – mit dem Begriff Patriarch kann er sich nicht identifizieren. Er denkt bei diesem Wort an Männer, die einsame Entscheidungen treffen und wohl auch ein wenig selbstherrlich sind. „Mit modernem Unternehmertum hat das aber überhaupt nichts zu tun.“
Christel Meurer, Meurer-Gruppe.
Das weibliche Gegenstück zum Patriarchen ist die Matriarchin. „Ich weiß zwar, was es bedeutet, aber das Wort höre ich zum ersten Mal“, sagt Christel Meurer. Geläufig ist ihr die häufig verwendete, wenngleich sprachlich falsche Form „Patriarchin“. Identifizieren kann sich die 69-Jährige aber auch mit diesem Wort nicht. „Offiziell war ich Geschäftsführende Gesellschafterin.“
Seit ihrem 25. Lebensjahr stand Christel Meurer neben ihrem Mann an der Spitze der Fürstenauer Meurer-Gruppe. Das Unternehmen ist Spezialist für Verpackungsmaschinen, in den beiden Werken in Fürstenau und Freren sind 640 Mitarbeiter beschäftigt, Umsatz im vergangenen Jahr: knapp 70 Millionen Euro.
Nach dem Tod ihres Mannes Franz-Josef im Jahr 2007 übernahm Christel Meurer die Rolle als alleinige Geschäftsführende Gesellschafterin. „Mich haben damals schon einige Leute gefragt, warum ich mir das antue“, sagt Christel Meurer. Doch für sie habe es niemals ein „Nein“ oder ein „Vielleicht“ gegeben – sie sah sich in der Verantwortung. Bis zum Tod ihres Mannes war Christel Meurer für die Finanzen des Unternehmens zuständig. Nun, mit immerhin 63 Jahren, musste sie sich in alle Geschäftsbereiche einarbeiten, hatte sehr lange Arbeitstage und spürte die Erwartung, dass alles so weitergehen sollte wie bisher. Christel Meurer hielt dem Druck stand. Und sie hielt ihm gerne stand. „Die Aufgabe hat mir riesigen Spaß gemacht.“ Genau wie ihr Mann identifizierte sie sich völlig mit dem Unternehmen, das ihren Namen trägt. Der Betrieb habe immer an erster Stelle gestanden, sagt Meurer. Natürlich habe das Privatleben manchmal darunter gelitten; doch mitzuerleben, wie das eigene Unternehmen stetig wächst, das habe eben eine ganz eigene Lebensqualität.
Und wenn es Verantwortungsgefühl nicht gäbe, dann würde Christel Meurer diese ganz eigene Lebensqualität auch jetzt noch genießen. „Ich hätte schon gerne weitergemacht.“ Sie tat es nicht – aus reiner Vernunft. Obwohl sie kerngesund und der Überzeugung ist, dass echtes Unternehmertum kein Alter kennt, verkaufte Christel Meurer ihr Unternehmen in diesem Sommer an die amerikanische ITW-Group.
Die Ansprüche auf den internationalen Märkten waren in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Deshalb hielt die 69-Jährige einen Verkauf für die einzig sinnvolle Entscheidung. Die Kunden hätten zum Beispiel Servicestationen in vielen Ländern der Erde gefordert. „Das ist für ein mittelständisches Unternehmen wie unseres sehr schwierig.“
Hätte sie keinen Käufer gefunden, der ihr wie ITW Kontinuität garantiert hätte, stünde Christel Meurer noch immer an der Spitze ihres Unternehmens. Sie wollte die größtmögliche Sicherheit und die besten Zukunftsaussichten für ihre Mitarbeiter, für die sie sich verantwortlich fühlt. Dass ihr das gelungen ist, macht sie glücklich. Ihre Freude an der Führung des Unternehmens habe gegenüber dem Wohl der Mitarbeiter eindeutig zurückstehen müssen. Und anders als Harald Müller ist Christel Meurer inzwischen Mitglied des Beirats ihres Unternehmens. „Der Betrieb wird mich immer beschäftigen, daran ändert sich nichts.“
Dieter Fuchs, Fuchs Gewürze.
Auch Dieter Fuchs, der Eigentümer des zweitgrößten Gewürzkonzerns der Welt in Dissen, Herrscher über drei Viertel des deutschen Gewürzmarktes und eine der scheuesten Unternehmerpersönlichkeiten des Landes, kann nicht von seinem Lebenswerk lassen. Etwas sehr Ungewöhnliches tat Dieter Fuchs im April 2013 in einer Osnabrücker Einkaufs- und Gastronomie-Passage: Er zeigte sich der Öffentlichkeit. An der Seite von Sternekoch Alfons Schuhbeck plauderte der alte Herr mit Neugierigen und lächelte in die Kameras, als wäre das für ihn jahrzehntelange geübte Routine – jener Dieter Fuchs, der zuvor das Rampenlicht gemieden hatte.
Hatte der Gewürzkönig zu diesem Zeitpunkt bereits entschieden, was drei Monate später seine PR-Agentur bekannt geben würde, und machte ihn das so gelassen? Firmengründer Fuchs ziehe sich nach 60 Jahren aus allen Leitungsfunktionen zurück, hieß es in der Mitteilung. Fuchs hat dem ehemaligen Manager des Schweizer Konzerns Lindt & Sprüngli, Carsten Wehrmann, das Ruder übergeben, der Senior wolle dem Unternehmen aber weiter „beratend zur Seite stehen“, so die offizielle Sprachregelung. Anzeichen dafür, dass Fuchs seit Langem Pläne hegte, die Verantwortung für mehr als eine halbe Milliarde Euro Umsatz und 3500 Mitarbeiter auf drei Kontinenten in jüngere Hände zu legen, gab es bereits Ende 2011. Da gliederte er sein Geschäft in vier Sparten um und setzte eigens dafür eingestellte Manager an deren Spitzen.
Bernard Krone, Krone Holding.
Wer über die Wirtschaftspatriarchen der Region spricht, kommt um Bernard Krone nicht herum. Der 73-jährige Inhaber der Speller Krone-Gruppe hat sich zwar inzwischen weitgehend aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, ist aber im Hintergrund weiterhin aktiv.
Nach seinem Ingenieur-Studium in Köln wollte sein Vater den gerade 22-Jährigen zunächst nicht im Unternehmen haben. Der Fachzeitschrift „Agrar heute“ verriet Krone, sein Vater habe ihn mit dem Satz „Stoß dir die Hörner woanders ab“ ins Ausland geschickt.
Als der Vater im Jahr 1970 starb, übernahm Bernard Krone als Alleinerbe das Unternehmen und machte es zu einem Global Player. Die Holding beschäftigt über 2000 Mitarbeiter und erzielte 2011 einen Umsatz von knapp 1,3 Milliarden Euro.
Das Tagesgeschäft des Unternehmens führt inzwischen die vierte Generation der Krones. Der Zeitschrift „Wirtschaft aktuell“ sagte Krone: „Dass meine Kinder nun den Weg unseres Unternehmens maßgeblich mitbestimmen, das macht mich sehr stolz und glücklich. Ich will den beiden nicht in ihre Entscheidungen reinreden. Wenn sie meinen Rat brauchen, bin ich aber immer da.“
Über Krones Führungsstil ist bekannt, dass er von der Distanziertheit moderner Manager wenig hält. Beim Werksrundgang bemerkt er alles, was nicht in Ordnung ist, und spricht das sofort bei seinen Mitarbeitern an. „Management by walk around“ nennt Krone diesen Führungsstil. Liegt irgendwo eine Zigarettenkippe auf dem Boden, hebt er sie auf. Auch wenn es anders wirken mag – Krone sagt, er habe sich von der Firma nie völlig vereinnahmen lassen. „Ins Büro komme ich nur in Ausnahmefällen vor neun Uhr. Ich verlasse das Büro aber sogar heute noch erst dann, wenn alles abgearbeitet ist.“
Stolz ist Krone vor allem darauf, dass seine Mitarbeiter sehr lange im Unternehmen bleiben. „Bei nicht wenigen kann man sagen: Einmal Krone, immer Krone.“ Ihm sei es immer wichtig gewesen, dass sich seine Angestellten im Unternehmen wohlfühlen – und das habe sich definitiv ausgezahlt.
Ems-Zeitung
Ressort Reportage
Ausgabe vom 18.10.2013